Mit einer Tasche voller selbstgebackenen Bananen-Lindor-Mandel-Muffins betrat ich letzten Freitag zum letzten Mal das ERDEM-Studio in Shoreditch. Unterwegs hatte in im West End noch ein ERDEM-Kleid vom besten Dry Cleaner der Stadt abgeholt und mir bei Marks&Spencer meinen liebsten Superwholefood-Salad geholt. Multigrain mit Blaubeeren, Mangostücken und einem herrlichen Basilikumdressing.
Der Tag verlief ruhig, bis dann kurz vor Feierabend Hektik aufkam. Warum habe ich vergessen. Trotzdem reichte es noch einen Tee für alle Praktikanten zu brauen, meine Muffins zu kosten und mich zu verdanken. Wenig später verabschiedete ich mich von den meisten und war gerade dabei, meine Sachen zusammenzupacken als Erdem auch noch aufs Parkett trat.
Wer denn hier Muffins mitgebracht habe, fragte Erdem. Ellie kam mir zuvor und erklärte, dass ich heute meinen letzten Tag habe und dass ich die Muffins selbstgemacht hätte. "Oh wow, they look delicious, kann ich zwei nehmen? Für meinen Freund!" Ich versicherte ihm, dass es genug habe und bedankte mich für die Zeit hier bei ERDEM. Er fragte mich, was meine weiteren Pläne seien und es ergab sich ein lustiges, kurzes Gespräch über Zürich, den Swiss Textiles Award* und über meine Zeit bei ERDEM.
Beschwingt machte ich mit auf den Weg nach Notting Hill Gate, wo ich Stefan und seine Arbeitskollegen traf. Wenig später stiess dann auch Lisa, meine liebe Erdem-Freundin dazu und wir zogen weiter in den neu eröffneten Blagclub, wo wir zu 90er Jahre RnB gründlich in Schwitzen kamen... Dit vas 'n groot plesiuer**
*Erdem war 2009 für den Swiss Textiles Award nominiert. Der Preis hat aber Alexander Wang abgeräumt.
Eines meiner Hobbies hier in London ist das spazieren. Eventuell haben die Londoner so auf mich abgefärbt (hier wird oft und viel zu Fuss absolviert, und zwar im Eiltempo!), oder man entdeckt einfach neue Seiten an sich selber, wenns gegen die Dreissig geht.
Ende Februar ist es wieder einmal soweit. Samstagnachmittag, strahlend blau, Frühlinsstimmung. Kurzentschlossen melde ich mich bei der Regierung ab und starte in Richtung Süd-Südost.
Ziel: Battersea Park.
Aussicht von der Battersea Bridge gegen Westen
Am Duck Pond im Park gibt es ein kleines, etwas heruntergekommenes Kaffeehäusschen. Beim Betreten kommt unweigerlich Mensastimmung auf - wirklich sehr unpassend für einen solch idyllischen Ort - und als Höhepunkt kann man dort den schlechtesten Tee und Kaffee in ganz London kaufen. Nichts desto trotz schlürfe ich die braune Brühe und geniesse die Abendstimmung am Ententeich bei einem guten Buch.
Schlusendlich bin ich mehr als zwölf Kilometer weit gewandert und kehre gutgelaunt und motiviert zurück in das kleine Kämmerchen, welches wir noch für genau elf Tage unser zu Hause nennen.
Der Countdown läuft...
"Hier vorne links, dann wieder links und bei der nächsten Kreuzung rechts." Die Sonne kriecht schon den Himmel hoch, doch ich bin todmüde und möchte nur noch schlafen. "Hier ist es, vielen Dank und einen schönen Tag." Ich steige aus dem Taxi und schleppe mich hoch in den dritten Stock. Gesichtwaschen und Zähneputzen lasse ich aus, denn jede Minute Schlaf ist kostbar. Heute ist die Erdem Show! Ich kuschle mich zu Stefan und falle in einen traumlosen Schlaf. Es ist halb Acht. Zwanzig Stunden war ich im Studio und habe genäht, meistens von Hand. Die Kollektion hat viele Spitzenelemente und auch Swarovski Kristalle, die auf die Kleider aufgenäht wurden. Zu Spitzenzeiten haben wir zu siebt an einem Kleid Spitzen und Kristalle aufgenäht. Etwas nach Sechs Uhr waren wir dann fertig.
AW12 Erdem
Um halb 11 mussten wir vor Ort sein. Jedem von uns wurde ein Model zugeteilt, welchem wir in die Kleider helfen mussten, die Schuhe so fest wie möglich an die Füsse kleben und überprüfen, ob auch alles so ist, wie Erdem es wünscht. Die meisten Models sind natürlich auch für anderde Shows gebucht und treffen kurzfristig ein. Bei einem meiner Outfits wurde ein Accesoire direkt am Model auf das Kleid genäht. Nur Sekunden vor der Show. Es war eine elende Hektik und viel zu viele Menschen. Ich hätte mich am liebsten irgendwo verkrochen, denn mir fehlte die Kraft meine schlechte Laune zu vertuschen.
Erdem
Doch kurz vor der Show kam dann doch noch ein Adrenalinschub und zwar für alle. Anna Wintour aka "The Devil wears Prada" aka US Vogue Editor in Chief machte ihren obligaten Backstagerundgang. Zusammen mit Erdem, der ihr die KeyPieces und KeyElements der Kollektion zeigte und erklärte, schlenderte sie von Outfit zu Outfit. Alle im Raum Anwesenden setzten ihr wunderbarstes, doch nicht zu aufdringliches Lächeln auf und versuchten flach zu atmen und dünn auszusehen. Inklusive Sarah Baur-Bächi, die sogar bei schlechtester Laune noch ein superfreundliches "hi" zu stammeln wusste und gekonnt zur Seite trat, als Anna und Erdem auf die ihr zugeteilten Outfits zusteuerten. Während ich versuchte nicht im Weg zu stehen, überlegte ich mir, wer wohl Anna's wunderschönen Pelzmantel designt hatte und konnte mir durchaus vorstellen, dass die hübschen Tierchen, die dafür ihr Fell gegeben hatten, dies sicher freiwillig gemacht hatten. So gross scheint die Macht der Anna Wintour. Etwas später trat dann noch eine weitere gefürchtete Modekritikerin backstage. Suzy Menkes. Nicht im Pelz. Man hätte sie durchaus mit einem Homeless verwechslen können.
Tweedprint Pumps by
Nicholas Kirkwood for ERDEM
Dann gings dann aber richtig los! Mein Model zeigte das dritte und das 29te Outfit. Zusammen mit Bethan, Production Manager bei ERDEM, erwartete ich das Model nach dem ersten "Walk" so rasch wie möglich zurück. Und schon kam sie um die Ecke gehoppelt. Während Bethan ihr das Kleid auszog, machte ich mich an den Ankleboots zu schaffen. Die Beine waren mit so einem ekligen tanning Spray eingeölt, dass ich immer wieder abschlipfte. Zusammen halfen wir ihr in die Hosen, dann stülpte ihr Bethan das Top über und ich stopfte ihre Füsse in die innen vollständig mit doppelseitigem Bauklebeband bearbeiteten Pumps. Dem Top fehlte noch der Gurt. Das Model war aber schon auf dem Weg zum Lineup, so rannte ich ihr hinterher und schnallte ihr rennend noch den Gurt um. In der Schlange half Erdem noch mit dem Finish und dann war sie schon wieder auf dem Laufsteg. Ganze zehn Minuten später war der Zauber vorbei, alle Klatschten einander zu und es wurde alles wieder zusammengepackt. Eine knappe Stunde später waren wir wieder im Studio und bauten den Showroom auf und flickten Kleider.
Erdem in action
(1:48!)
Später, zu Hause, legte ich mich für ein paar Minuten hin, um an der Aftershow Party nicht völlig neben mir zu stehen. Nur knapp schaffte ich es an der Party aufzutauchen, doch es hatte sich gelohnt, nur schon wegen der Geheimtür, die in der Bar durch einen Wandschrank zur Privatraum zur ERDEM Party führte. Priceless!
Nebst Essen, Bergen, und Bewegung fehlen uns hier in London am meisten unsere Familie und Freunde. Um so schöner wenn sie uns hier besuchen kommen!
Am Wochenende vom 10.-12. Februar haben wir das Vergnügen, Dominique & Hanes bei uns in London zu begrüssen. Sie sind die ersten Gäste, die vorgängig eine lange Liste von To Do's zusammengestellt haben, und so ist von Anfang an klar, dass wir ein strenges Wochenende vor uns haben. Und wie sich herausstellt, wird es auch das mit Abstand kälteste sein, das wir hier erleben werden.
Sie kommen am Freitagmorgen früh an und starten gleich ihre erste Tour in Richtung South Bank. Die Besichtigung des Towers wird zwar wegen teuren Eintrittspreisen bis auf weiteres verschoben. So marschieren sie via Millenium Bridge, entlang der Themse gegen Südwesten, vorbei am Tate Modern, London Eye, bis zum Big Ben und noch weiter.
1kg British Beef
Zum vereinbarten Treffpunkt in Holborn kommen Baurs zu spät. Die Central Line hat eine Störung. Stefan schwingt sich auf ein Barclay Bike und kämpft sich ab Queensway durch den Freitagabendverkehr, während Sarah die letzten zwei Stationen nach Holborn zu Fuss zurücklegt. Ganze dreissig Minuten zu spät begrüssen wir unsere lieben Freunde in London. Bevor wir unsere Reservation in einem der besten Steakhouses der Stadt wahrnehmen können, überbrücken wir die Wartezeit in einem der vielen Pubs in der Nähe. Wer in London nämlich einen Tisch in einem anständigen Restaurant zu einer würdigen Zeit möchte, weiss Tage oder sogar Wochen im Voraus zu buchen. Um 22:00h setzten wir uns endlich an unseren Tisch im Hawksmoor, speisen bestes UK-Beef und schmieden Pläne für die kommenden Tage.
Samstagmorgen, der Himmel ist stahlblau, doch es geht ein eisiger Wind, als wir die Pforten des Britisch Museum betreten. Auf dem Platz wimmelt es von asiatischen Touristen mit Fotoapparaten. Die Museen Londons sind beliebt, besonders auch weil die allermeisten gratis sind. Der Innenhof verzaubert uns mit geometrischer Architektur und die Sonne wirft wunderbare Schattenzeichnungen. Herrlich.
Doch auf uns wartet eine der grössen kulturgeschichtlichen Sammlungen überhaupt. Mumifizierte Pharaonen, aus Stein gemeisslte Griechen und Römer, indische, chinesische, japanische Sachen Objekte Dinger.
Ich (Sarah) frage mich wie die Briten zu all dem Zeugs gekommen sind...
Das Wetter zieht uns wieder nach Draussen und lädt uns auf einen Spaziergang im Hydepark ein.
Nach dem schönen Spaziergang durch den Hyde Park besuchen wir das Tate Modern und lassen uns von zeitgenössischer Kunst (contemporary art) entzücken.
Der Sonntag ist in London nur an wenigen Orten zu finden. Auch nicht im Topshop am Oxford Circus, wo man einfach mal hinein muss wenn man in London ist. Wenn sich die Augen nach der Reizüberflutung wieder erholt haben und sich das Gehirn wieder erinnert, warum und was man einkaufen möchte, findet man hier tolle Kleider, Accesoires und auch Make-Up. Wer Lust hat, kann sich auch gleich noch ein Tatoo stechen lassen oder einfach dem DJ zukucken. Im TOPMAN kommen auch Männer bestens auf ihre Rechnung.
Die Westminster Abby andererseits kennt den Sonntag noch und ist heute nur für Kirchengänger geöffnet. Da wir aber nur einen kurzen Blick in die mächtige Kirche wo Prinz William seine Catherine zur Frau genommen hat werfen wollen, lassen wir es mit dem Kirchengang sein und zeigen unseren Gästen lieber unsere Behausung.
Zu Hause in West Kensington gönnen wir uns eine kleine Stärkung und lassen uns zu viert auf unserem Bettsofaklappteil nieder, ziehen die Vorhänge und gönnen uns ein Nickerchen.
Mit neuen Kräften gehts dann auf zur HTB Bromton Road wo wir seit dem zweiten Sonntag hier in London jeweils um 7pm anzutreffen sind. Für einmal leitet Tim Hughes, der sonst in der HTB Onslow Square musiziert, den Worship. Nicky Gumbel lädt zum Alpha-Kurs ein und meint, dass die vierte Woche eine der besten sei um einzusteigen. Das hat er aber auch schon von der zweiten und dritten gesagt. Nicky Lee, Gründer des Ehe-Kurses, führt heute in eine Serie zum Thema Beziehungen ein, die über fünf Sonntage dauern soll.
Der Hunger führt uns später nach Chinatown, wo wir wieder einmal vor einer Londoner Reizüberflutung stehen. Zu viele Angebote, zu viel Auswahl und alles ist sehr rot hier. Wir entscheiden uns für etwas ohne tote Enten im Fenster und treten in ein eher kleineres Lokal mit hässlichem Teppichboden. Es riecht nach Chlor und Altersheim. Zu spät um umzukehren! Meine (Sarah) einzige Bedingung ist jeweils, dass ein paar Tische besetzt und Leute am essen sind. Die Bedingung ist erfüllt und wir sind auch hungrig.
Das Menu gibts sympatischerweise in
Chinesisch und Englisch sowie auch Set-Menus. Praktisch. Man ordert ein Set-Menu für vier Personen und dann kommen einfach ein paar verschiedene Vorspeisen, ein paar verschiedene Zwischenspeisen und dann ein paar verschiedene Hauptspeisen. Gleich als die charmante Chinesin orangefarbene Würmli und zwei drei andere Gerichte auf den Tisch stellt, probiert Stefan schon mal fleissig. Auch ich favorisiere ein Gericht und schöpfe schon mal gründlich davon, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das auch Teil unseres Set-Menus ist.
Auch die orangen Würmli, die uns allen sehr munden, scheinen uns nicht in unserem Menu erwähnt. Gerade als Stefan nachfragen will, was denn die orangen Dinger sind, greift die Chefchinesin nach den orangen Würmli sowie meinem Lieblingsgericht und serviert es ohne Schulterzucken am Tisch hinter uns. Falsche Lieferung! Stefan protestiert und meint, er mag doch die orangen Würmli, bei denen es sich übrigens um fritiertes Rindsfleisch handelt. Die Chefchinesin klopft ihm auf die Schulter und lächelt...
Und es wird Abend und wieder Montagmorgen. Stefan und Sarah sind am Fliessband, während Mistelis den Tower of London schliesslich von innen besichtigen. Wir treffen uns erst am Dienstagmorgen in Notting Hill Gate zum Abschiedsfrühstück.
Ihr lieben Mistelis, es war schön mir euch! Bis bald, eure Baurs.